Die Frage nach dem freien Willen stellt sich auf vielen Ebenen. Auf der Ebene des Universums können wir sagen, dass der einzige Grund, warum irgendetwas existiert, der freie Wille ist. Der kreative Wille von Allem vermittelt zwischen den Gedankenzentren von Sein und Nicht-Sein, was einen Tanz aller möglichen Formen erschafft.
Während der ursprüngliche Impuls des kreativen Willens von den bedingungslosen Bereichen der Schöpfung ausgehend zur Materialität hinabsteigt, ‘verwässert’ er und wird mit jeder Ebene immer mechanischer und determinierter.
Die Tradition, wie sie von Gurdjieff und Mouravieff übermittelt wurde und wie sie sich sogar in der Bibel zeigt, legt nahe, dass der Logos bzw. der kreative Wille des Absoluten der Impuls hinter allem, das existiert, ist. Die Cassiopaeaner und Ra definieren den freien Willen als das erste universelle Prinzip.
Strikte Deterministen sind die einzigen, die den freien Willen vollkommen dementieren.
Das Konzept des freien Willens wird noch viel unschärfer, wenn es auf die menschliche Ebene angewendet wird. Wir könnten postulieren, dass alles, was einen Grad an Bewusstsein hat, auch irgendwie einen Funken des noch unerschaffenen, uranfänglichen freien Willens in sich bewahrt. Wenn dies nicht so wäre, könnten wir keine Konzepte wie “Verantwortung” definieren, die im Grunde in jeder Ethik zentral sind. Aus diesem Grund erkennen mehr oder weniger alle Religionen einen gewissen Grad an freiem Willen an, egal wie sie sonst dazu tendieren mögen, ihn anderweitig einzuschränken.
Gurdjieff beschreibt den menschlichen Grundzustandes als beinahe behavioristisch, d.h. fast gar keinen freien Willen beinhaltend. Trotzdem ist Gurdjieffs gesamte Arbeit darum bestrebt, ein Fenster zu öffnen, durch das dieser freie Wille sich manifestieren kann. In diesem Sinne ist Gurdjieff diametral und fundamental jeder deterministischen Schule des Denkens entgegengesetzt.
Das größte Problem für einen manifestierten freien Willen auf der menschlichen Ebene ist, dass der Mensch nicht eins ist: Ein ‘Ich’ will etwas, ein anderes will nicht, ein drittes ‘Ich’ weiß nicht mal von der gestellten Frage.
Im Buch Das Leben ist nur dann wirklich wenn ‘Ich Bin’ stellt Gurdjieff das Diktum “Ich Bin, Ich Kann, Ich Wünsche” vor.
Aus dem Buch:
Nur der Mensch, der bewusst sagt: “Ich Bin” – der ist wirklich; der sagt: “Ich Kann” – der kann wirklich; der sagt: “Ich Wünsche” – der wünscht wirklich. Wenn “Ich Wünsche”, dann fühle ich mit meinem ganzen Wesen, dass ich wünsche, und wünschen kann. Das bedeutet aber nicht, dass ich benötige, dass ich brauche, dass ich mag, oder schließlich, dass ich begehre. Nein. “Ich Wünsche.” Niemals mag ich, niemals benötige ich, ich begehre nichts und ich brauche nichts – all dies ist Sklaverei; wenn “Ich” etwas “Wünsche”, so muss ich es mögen, sogar dann, wenn ich es nicht mag. Ich kann mir wünschen, es zu mögen, weil “Ich Kann”. Ich Wünsche – ich fühle mit meinem ganzen Körper, dass ich wünsche. Ich wünsche, weil ich wünschen kann.
Freier Wille hat nichts mit Verlangen/Begehren zu tun, er ist bedingungslos, er existiert um seiner selbst Willen; dennoch ist er nicht willkürlich oder zufällig, er mag eine Richtung haben, die ein Grund in sich selbst ist. Der freie Wille, der für den Menschen in diesem Sinne möglich ist, ist weit von der Möglichkeit ‘willkürlicher Duldung’ entfernt, was oftmals das einzige ist, was der moderne westliche Sprachgebrauch unter Freiheit versteht.