Menschen sind Pawlow'schen Hunden sehr ähnlich...

Überlastungshemmung, auf Englisch Transmarginal Inhibition, abgekürzt TMI, ist die Antwort eines Organismus auf Reize, die ihn überwältigen. Ironischerweise steht das Akronym TMI im populären Gebrauch auch für ‘too much Information’ (zu viel Information), was ein gängiger Faktor der Überlastungshemmung in unserer heutigen Kultur sein dürfte.

Iwan Petrowitsch Pawlow bewies, dass sich ein der Hysterie ähnlicher Zustand manifestiert, sobald die Psyche in einen Zustand der Überlastungshemmung übergeht. In Zuständen von Angst und Aufgeregtheit akzeptieren vernünftige Menschen die wildesten und unwahrscheinlichsten Suggestionen.
 

Forschung

Ivan Pawlow zählte in seiner Arbeit über die Konditionierung von Tieren mittels unterschiedlicher Reize, inklusive Schmerz, Einzelheiten von TMI auf. (Es stimmt nicht, dass Pawlows gesamtes Werk sich darauf beschränkte, Reaktionen mittels Erregung von Schmerz hervorzurufen, wie das oft berichtet wird).

Pawlow entdeckte, dass die Toleranzschwelle eines Organismus gegenüber unterschiedlichen Reizen beträchtlich schwankt, was sich auf fundamentale Unterschiede in dessen Temperament zurückführen lässt. Er merkte an, dass “die grundlegendsten angeborenen Unterschiede zwischen Menschen jene sind, wie schnell dieser Punkt des Zusammenbruchs erreicht wird, und, dass jene die schneller zusammenbrechen, ein fundamental unterschiedliches Nervensystem haben[^1]”. Dies führte Ihn dazu, der Notwendigkeit, Individuen nach ihrer ererbten Verfassung zu klassifizieren, bevor sie experimenteller Konditionierung unterzogen wurden, erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Abhängig von ihrem Temperament reagierten Hunde nicht nur unterschiedlich auf die Konditionierung, sondern wenn ein Hund unter Stress zusammenbrach, war auch die geeignete Behandlung von seiner konstitutionellen Verfassung abhängig. Zum Beispiel konnte Pawlow bestätigen, dass Beruhigungsmittel zwar sehr hilfreich dabei waren, das Nervensystem eines zuvor zusammengebrochen Hundes wieder zu stabilisieren, dass aber Hunde eines bestimmten Temperaments 5 bis 8 Mal so viel Medikamente benötigte, als jene eines anderen Temperaments, auch wenn sie genau das gleiche Körpergewicht hatten.

 

Die vier Nerventypen

Pawlow war von der Idee der vier grundlegenden Temperamente oder ‘Nerventypen’ überzeugt, die er durch empirische Beweise in 30 Jahren Forschungstätigkeit gesammelt hatte. Er merkte, dass diese Temperamente jenen sehr ähnelten, die Hippokrates bei Menschen unterschieden hatte. Obwohl verschiedene Mischungen dieser grundlegenden Temperamente bei Pawlows Hunden in Erscheinung traten, konnten sie eher anhand dieser unterschieden werden, als durch die Einführung neuer Kategorien.

Der erste Nerventyp entsprach dem Hippokratischen Typ des Cholerikers und Pawlow nannte ihn “stark reizbar”. Der zweite Typ, der Sanguiniker, den Pawlow “lebhaft” nannte, beschrieb Hunde mit einem ausgeglicheneren Temperament. Die normale Reaktion dieser beiden Typen auf auferlegte Stress- oder Konfliktsituationen war erhöhte Reizbarkeit und ein aggressiveres Verhalten; die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Typen hörte aber damit auf. Der cholerische Typ wurde so wild, dass er jeglicher Kontrolle entglitt. Das Verhalten des sanguinischen Typs bestand aber nach wie vor aus zielgerichteten und kontrollierten Reaktionen.

Der dem Phlegmatiker entsprechende Typ nannte Pawlow “ruhig, gleichmütig”, und den Melancholiker nannte er “leicht hemmbar”. Wenn diese beiden Typen vor Stress- und Konfliktsituationen gestellt wurden, reagierten sie eher mit Passivität oder ‘Hemmung’ als mit Aggression. Die grundlegende Neigung des ‘leicht hemmbaren’ bzw. melancholischen Typs war die, auf Ängste und Konflikte mit Passivität und der Vermeidung von Stress zu reagieren. Jeder starke experimentelle Stress, dem solche Hunde ausgesetzt wurden, hatte als Ergebnis, dass der Hund in einen Zustand der Lähmung des Gehirns und der Angstparalyse verfiel.

Pawlow entdeckte, dass die drei anderen Typen, wenn sie mit mehr Stress konfrontiert wurden, als sie mit normalen Reaktionen aushielten, letztendlich auch in einen Zustand der Hirnparalyse verfielen, die derjenigen ähnelte, in die der Typus der Melancholiker bzw. “leicht Hemmbaren” viel schneller verfiel. Er betrachtete dies als ein Schutzmechanismus, der vom Gehirn normalerweise dann als letzter Ausweg eingesetzt wird, wenn etwas unerträglich ist. Der “leicht hemmbare” Typ war eine Ausnahme im Vergleich zu den drei anderen Typen: diese Art von Hund verfiel als Reaktion auf leichtere Stressbelastung viel schneller in einen das Gehirn schützenden Zustand. Die wichtige Entdeckung war aber selbstverständlich, dass die vier grundlegende Charaktertypen unterschiedlich auf verschiedene Niveaus von Stress reagierten, und zwar vor, während, und nach den Experimenten. Das wichtigste Stück Information war, dass der “leicht hemmbare” Typ besonders empfindsam war.

Bezüglich des “leicht hemmbaren” Typs beobachtete Pawlow, dass, obwohl das Grundmuster des Temperaments angeboren ist, jeder Hund von Geburt an durch verschiedene Einflüsse aus der Umwelt konditioniert wird, die unter bestimmtem Stress lang anhaltende, hemmende Verhaltensmuster verursachen können. Daher hängt das endgültige Verhaltensmuster eines jeden Hundes sowohl von seiner ererbten Konstitution, als auch von bestimmten Verhaltensmustern, die von zuvor erfahrenem Stress aus der Umwelt verursacht werden, ab[^2].

 

Die Reaktion auf überstarke Reize

Als Pawlow später seine Entdeckungen über Hunde experimentell auf die menschliche Psychologie anwendete, beobachtete er mit großer Aufmerksamkeit was geschah, wenn das höhere Nervensystem von Hunden jenseits der Grenzen ihrer normalen Reaktionsfähigkeit gestresst wurde, und verglich diese Zustände mit klinischen Berichten über unterschiedliche Nervenzusammenbrüche in Menschen. Er entdeckte, dass stärkerer und andauernder Stress auf Hunde der “lebhaften” und “gleichmütigen” Nerventypen ausgeübt werden konnte, ohne einen Zusammenbruch zu verursachen, als das mit Hunden der Nerventypen “stark reizbar” und “leicht hemmbar” möglich war.

Pawlow war davon überzeugt, dass diese Reaktion auf überstarke Reize, die er Überlastungshemmung nannte, der Schutzmechanismus des Hirns war. Wenn es in Erscheinung trat bedeutete dies, dass das Gehirn keine andere Möglichkeit mehr hatte, durch Stress und Ermüdung verursachten physischen Schaden zu vermeiden. Er fand heraus, dass er den Grad dieser Schutzhemmung zu jedem Zeitpunkt bestimmen konnte, indem er sein Protokoll über konditionierte Reflexe der Speicheldrüsen anwendete. Sogar wenn ein bestimmter Hund auf den ersten Blick völlig normal aussah, gab die Menge des abgesonderten Speichels darüber Auskunft, was im Hirn des Hundes vor sich ging, ob also die Hemmungsreaktion ausgelöst worden war, und zu welchem Grad sie sich entwickelt hatte.

 

Die Flut und Hirnwäsche

Dem Anschein nach führte ein unvorhergesehenes Ereignis Pawlow zu einigen seiner fortgeschrittenen Versuchen der induziierten Überlastungshemmung. Im Jahr 1942 wurde Leningrad überflutet. Pawlow hatte eine ganze Gruppe Hunde vor dem Eintreten dieser Flut konditioniert. Während der Flut waren die Hunde in ihren Käfigen gefangen, als das Wasser im Labor langsam anstieg. Die Hunde schwammen unter äußerstem Terror herum und versuchten mit allen Kräften, ihre Köpfe über Wasser zu halten, als im letztmöglichen Moment ein Laborgehilfe die Hunde in Sicherheit brachte, indem er sie durch das Wasser nach unten und aus ihren Käfigen zog.

Diese Episode war für die Hunde offensichtlich extrem beängstigend. Manche von ihnen schalteten von einem Zustand der extremen Anspannung zu schützender, aber ernsthafter Überlastungshemmung. Als Pawlow später einige von ihnen untersuchte stellte er fest, dass die ihnen kurz zuvor eingepflanzten, konditionierten Reflexe zur Gänze verschwunden waren. Andere Hunde, die durch dieselbe Tortur gingen, waren aber nicht betroffen. Pawlow erkannte, dass es für jene Hunde, deren Konditionierung durch den Schrecken ausgelöscht worden war, eine weitere Stufe hemmender Aktivität gab, die die Psyche völlig ausradieren konnte. Die meisten Hunde, die diesen Zustand der ‘Gehirnwäsche’ erreicht hatten, konnte später ihre vorherige Konditionierung wiedererlangen, es waren dazu aber Monate geduldiger Arbeit notwendig. Sie wurden, in der Tat ‘neu geboren’. Wenn Pawlow ein wenig Wasser unter der Tür ins Labor fließen lies, waren alle Hunde alleine schon für den Anblick empfindlich und davon betroffen, am allermeisten aber jene Hunde, die von der Flut ‘Hirngewaschen’ worden waren.

Obwohl manche Hunde sich dem vollständigen Zusammenbruch widersetzt hatten, war Pawlow davon überzeugt, dass Spannungsreize, wenn ‘richtig eingesetzt’, diesen Zusammenbruch in jedem einzelnen von ihnen hervorrufen hätte könnten. Am Ende seines Lebens erzählte Pawlow einem Amerikanischen Physiologen, er sei wegen Beobachtungen, die er während dieses Vorfalls gemacht hatte, davon überzeugt, dass jeder Hund einen “Brechpunkt” hätte[^3].

 

Vier Hauptarten der Reizung

Eine von Pawlows wichtigsten Entdeckungen war die, was mit konditioniertem Verhalten passieren kann, wenn der Hund durch Reize und Konflikte über die Schwelle gebracht wird, die jenseits seiner normalen Fähigkeit zur Reaktion liegt. Durch die Anwendung von vier Arten von auferlegten Stress war er in der Lage etwas zu verursachen, was er “die Unterbrechung der höheren Nervenaktivität” nannte.

  1. Die erste Art von Stress war einfach ein Anstieg der Intensität des Signals, auf das der Hund anfangs konditioniert worden war. Wenn das Signal langsam verstärkt wurde, war es ab einem bestimmten Punkt zu stark für das das Nervensystem des Hundes, und dieser begann, zusammenzubrechen.
  2. Die zweite Art, diese Schwelle zu überqueren, war, die Zeit zwischen einer Signalerzeugung und dem Eintreffen der Nahrung zu verlängern. Falls ein Hund darauf konditioniert worden war, Nahrung fünf Sekunden nach einem Warnsignal zu bekommen, und diese Zeitspanne verlängert wurde, wurden Anzeichen von Unruhe und abnormalem Verhalten in weniger stabilen Hunden sichtbar. Pawlow entdeckte, dass sich das Hirn der Hunde gegen die abnormal lange Wartezeit revoltierte, wenn sie unter Stress standen. Ein Zusammenbruch würde dann eintreten, wenn der Hund sich entweder sehr stark oder sehr lange hemmen musste. (Menschen empfinden ausgedehntes Warten unter Stressbedingungen ebenfalls extrem schwächend, schlimmer noch als das, was den Stress auslöst.)
  3. Die dritte Möglichkeit einen Zusammenbruch hervorzurufen war, die Hunde mittels Anomalien im Konditionierungssignal zu verwirren. Wenn ein positives und ein negatives Signal hintereinander gegeben wurde (ja, nein, ja, nein, usw.), war sich der hungrige Hund nicht mehr sicher, was geschehen würde, und das zerstörte die normale Stabilität seines Nervensystems. Dies trifft auch auf Menschen zu.
  4. Die vierte Art den Hund zum Zusammenbruch zu bringen war, seine körperliche Verfassung verschiedenartig zu destabilisieren: entweder durch lange Arbeitsperioden, zugefügte Störungen im Magen-Darmtrakt, Fieber, durch Störungen des Drüsengleichgewichts, mittels Chirurgie etc.

Wenn allerdings die ersten drei Methoden den gewünschten Zusammenbruch bei einem bestimmten Hund nicht hervorriefen, konnte der Zusammenbruch durch dieselbe Stresserzeugung, die zuvor versagt hatte, nach Anwendung des vierten Protokolls dennoch hervorgerufen werden: körperliche Destabilisierung. Pawlow entdeckte auch, dass nach einer körperlichen Schwächung ein Zusammenbruch sogar in Hunden mit einem stabilen Temperament vorkommen konnte, und dass jegliche neue Verhaltensmuster, die danach beim Hund beobachtet wurden, zu einem festen Bestandteil des Wesens des Hundes werden konnten, sogar lange nach der Erholung von dieser schwächenden Erfahrung.

Neurotische Verhaltensmuster, die “leicht hemmbaren” Hunden unter derartigen Bedingungen eingepflanzt wurden, konnten oft leicht durch die Gabe von Beruhigungsmitteln gelöscht werden. Wie Pawlow aber entdeckte, war dies bei den Sanguinikern und den Phlegmatikern unter den Hunden – die oft kastriert werden mussten, um sie genug zu schwächen und einen Zusammenbruch zu ermöglichen – anders: bei diesen Hunden waren neu eingepflanzte Verhaltensmuster oft unauslöschlich, nachdem der Hund wieder genesen war. Pawlow schrieb dies der natürlichen Zähigkeit der Nervensysteme dieser Hunde zu. Die neuen Verhaltensweisen konnten nur schwer eingepflanzt werden, ohne den Hund temporär zu schwächen, und nachher schienen sie einen genauso starken Teil im ‘hartnäckigen Wesen’ dieser Hunde darzustellen, wie die alten Muster.

Wie Pawlow beobachtete, schwankt die Stimulationstoleranz stark zwischen Individuen. Eine hoch sensible Person kann durch zu hohe Lautstärke im Kino oder durch das verwirrende Geschehen im Hintergrund bei gesellschaftlichen Ereignissen überreizt werden. Andere Individuen wiederum empfinden die gleichen Reizungen als ideal, oder sogar als zu wenig anregend.

 

Die drei Stufen der Überlastungshemmunghemmung

Pawlow stellte fest, dass die Fähigkeit eines Hundes, schwerem Stress zu widerstehen, nicht nur von seinem Typ abhängig war, sondern auch von seiner körperlichen Verfassung. Wenn einmal dieUltraschwelle erreicht und eine zerebrale Hemmung induziert worden war, begannen sich sehr seltsame Dinge im Hirn des Hundes abzuspielen. Diese Veränderungen konnten mit ausreichender Genauigkeit gemessen werden (wie z.B. durch die Menge des abgesonderten Speichels), und im Gegensatz zu Menschen wurden sie nicht durch subjektive Verzerrungen verändert. Das heißt, das der Hund zweifellos nicht versuchte, sein seltsames Verhalten ‘wegzuerklären’ oder ‘wegzurationalisieren’ wie das Menschen tun. Pawlow beschrieb drei unterschiedliche und progressive Stufen der ‘Ultraschwellen-Hemmung’.

  1. Die Äquivalenzphase der Aktivität im Hirnkortex. Während dieser Phase verursachen alle Stimuli, unabhängig von ihrer Stärke, die Absonderung der gleichen Menge von Speichel. Bei Menschen kann ein ähnliches Phänomen beobachtet werden, wenn sich eine normale Person in einem Zustand der extremen Ermüdung befindet. Sie berichten, dass der Unterschied zwischen ihrer emotionalen Reaktion auf triviale oder wichtige Erfahrungen sehr gering ist. Sie würden möglicherweise sagen: “Ich bin zu müde um mich zu kümmern”.
  2. Die paradoxe Phase. Wenn noch stärkere Spannungsreize eingesetzt werden (das kann Schmerz sein, wie auch jede andere Art von psychischem, körperlichem oder emotionalem Stress), geht die Äquivalenzphase in die paradoxe Phase über. In diesem Zustand können schwache Reizungen stärkere Reaktionen verursachen als starke Reizungen. Der Grund dafür ist, dass starke Reizungen die Schutzhemmung nur verstärken, während schwache Reizungen noch immer positive Reaktionen auslösen können. Wenn sich ein Mensch in diesem Zustand befindet, kann sich sein Verhalten auf einer Art ins umgekehrte wandeln, die einem außenstehenden Beobachter völlig irrational erscheint.
  3. Die ultraparadoxe Phase. In der dritten Stufe kehren sich positiv konditionierte Reaktionen plötzlich in negative Reaktionen um, und negative in positive. Der Hund (oder der Mensch) könnte plötzlich merken, dass sie etwas mögen was sie zuvor gehasst haben, und dass sie etwas verabscheuen was sie früher geliebt haben. In diesem Zustand kehrt sich die Reaktion des Organismus, bezogen auf seine vorherige Konditionierung, ins Gegenteilige um.

Weitergehende Forschung zu diesen drei Phasen wurde von William Sargant in seinem Werk über an Kriegsneurosen leidenden Soldaten durchgeführt.

 

Bedeutung für die Psychologie des Menschen

Diese letzte Entdeckung ist von großer Relevanz, um ähnlich geartete Verhaltensänderungen bei Menschen zu verstehen. Es ist bekannt, dass Menschen mit einer sehr starken Persönlichkeit am Ende einer langen Zeit der Schwächung, ihren Glauben und/oder ihre Überzeugungen dramatisch verändert haben. Wenn sie sich erholt haben, so bleiben sie ihren neuen Glaubenssätzen für den Rest ihres Lebens treu. Es gibt viele Fallgeschichten von Menschen in Kriegszeiten, im Gefängnis, oder nachdem sie länger anhaltende, schreckliche Erlebnisse wie ein Flugzeugabsturz oder Seenot durchmachten, die verschiedenartige Glaubensbekehrungen erfahren haben: religiöse, politische usw.

Ein großer Teil menschlichen Verhaltens ist das Ergebnis von konditionierten Reflexen, die bereits während der frühen und frühesten Kindheit Gestalt annehmen. Diese Muster von Antworten auf die Realität können fast unverändert erhalten bleiben, im Allgemeinen hat aber der gesunde, erwachsene Mensch gelernt, seine Programme an Veränderungen in seiner Umwelt anzupassen. Andere konditionierte Reflexe des Menschen, wie z.B. ein Fahrzeug zu lenken, entstehen aus Studium und Lernen. Am Anfang ist sehr viel Aufmerksamkeit notwendig, um fahren zu lernen und mit dem Verkehr umzugehen. Später wird das zu einer eher automatischen Tätigkeit, und der Fahrer kann fahren und sich mit dem Verkehr befassen, während er spricht, isst, oder andere Tätigkeiten ausführt. ‘Fahren’ ist nun zu einem automatischen Programm geworden. Wenn der Fahrer aber in ein Land reist, in dem es sehr wenig Verkehr gibt, wird er sich den veränderten Gegebenheiten anpassen können, und er wird dies automatisch tun.

So ergibt sich, dass vom Gehirn des Organismus verlangt wird, immer komplexere Strukturen von positiv, wie auch negativ konditionierten Reflexen – Verhaltensmuster – als Antwort auf die sich verändernden Gegebenheiten der Umwelt aufzubauen. Pawlow bewies, dass das Nervensystem eines Hundes dazu in der Lage war, von selbst eine außerordentliche Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln. Ein Hund konnte dazu gebracht werden, Speichel abzusondern, wenn er einen Ton von exakt 500 Schwingungen in der Minute hörte, nicht aber bei 490 oder 510 Schwingungen.

Negativ konditionierte Reflexe, wie etwa Wut oder ‘Kampf oder Flucht’ werden in zivilisierten Gesellschaften im Allgemeinen unter Kontrolle gehalten, obwohl es manchmal notwendig ist, sie als Antwort auf Veränderungen in der Umwelt zu aktivieren, etwa bei Bedrohungen oder Notfällen, bei denen es um Leben oder Tod geht.

Gefühlsbezogene Einstellungen und Reaktionsmuster sind in menschlichen Wesen ebenfalls konditioniert, obwohl die meisten Menschen das nicht gerne zugeben. Wir lernen schon als Kinder, gegenüber bestimmten Sachen, Menschen, Vorkommnissen, usw. Anziehung oder Abscheu zu empfinden. Worte wie etwa “Katholik” oder “Kommunist” können augenblickliche Gefühlsreaktionen hervorrufen, die keinerlei Beziehung zu Fakten oder Daten haben, sondern einfach nur programmierte Einstellungen sind, die durch Konditionierung innerhalb von Familie und Gesellschaft angenommen wurden.

 

Anwendung in der Gedankenkontrolle

Das totalitäre Sowjetregime fand Ivan Pawlows Werk sehr nützlich, um seinem politischen Ziel der vollständigen Indoktrination nachzugehen. Als Beweis dieser Tatsache wird angemerkt, dass im Juli 1950 in Russland ein medizinischer Erlass herausgegeben wurde, nach dem die sich die gesamte Sowjetische Medizin künftig an Pawlows Vorbild orientieren sollte[^4]. Der Erlass begründete sich anscheinend auf den beeindruckenden Ergebnissen, die mit der Anwendung von Pawlows Prinzipien erzielt werden konnten.

Dem Anschein nach hat Pawlows Werk die Techniken, “Geständnisse zu entlocken” in Russland und China stark beeinflusst, wie auch jene der Hirnwäsche und zur Erzielung von politische Glaubensbekehrungen. Diese Forschung ist dem Anschein nach von US-Geheimdiensten weitergeführt worden, die auch ein Interesse daran haben, solche Information als falsch zu ‘entlarven’ und herabzuspielen. Der Großteil von Pawlows Entdeckungen, die für die Gedankenkontrolle anwendbar sind, findet sich in einer Reihe von Pawlows späteren Vorlesungen, die von Horsley Gantt übersetzt wurden und 1941 in England und den USA unter dem Titel Conditioned Reflexes and Psychitry (Konditionierte Reflexe und Psychiatrie) veröffentlicht wurden[^5]. Professor Y.P. Frolovs Buch über diese Versuche, Pawlow and His School[^6], ist auch ins Englische übersetzt worden. Spätere Bücher bezogen sich nur wenig oder gar nicht auf die wichtigsten Entdeckungen Pawlows bezüglich der Gedankenkontrolle. In seiner 1950 in den USA veröffentlichten Studie Soviet Psychiatry war es Dr. Joseph Wortis ein besonderes Anliegen, die Wichtigkeit von Pawlows Versuchen für die Psychiatrie zu unterstreichen, er führte aber kaum Einzelheiten aus der späten Phase von Pawlows Werk an, die sich mit Gedankenkontrolle befasste. Andere Bücher enthalten viele Einzelheiten aus Pawlows früherer Versuchsarbeit, aber wenig bis nichts über sein späteres Werk, das sich auf Gedankenkontrolle und Hirnwäsche bezieht.

Pawlow bewies, dass sobald ein Hund in den Zustand der Überlastungshemmung verfiel, sich in ihm ein Zustand entwickelte, der der Hysterie in Menschen ähnelte. Die Anwendung dieser Erkenntnisse auf die menschliche Psychologie lassen den Schluss zu, dass um eine “Bekehrung” wirksam werden zu lassen, es notwendig ist, die Gefühle eines Individuums zu bearbeiten, bis er/sie einen Zustand von abnormaler Angst, Wut oder Begeisterung erreicht hat. Falls ein solcher Zustand mit Hilfe unterschiedlicher Mittel aufrechterhalten oder intensiviert wird, ist das Ergebnis Hysterie. Im Zustand der Hysterie sind menschliche Wesen außerordentlich beeinflussbar, und Einflüsse aus der Umgebung können einen Satz von Verhaltensmuster durch andere ersetzen, ohne die Notwendigkeit und der Verwendung von überzeugender Indoktrination. In Zuständen von Angst und Aufgeregtheit akzeptieren normalerweise vernünftige menschliche Wesen die wildesten und unwahrscheinlichsten Vorschläge.

 

Gesellschaftliche Folgen

Die Funktionsweise der Überlastungshemmung in einzelnen Individuen sind weitgehend bekannt. Was nicht so gut verstanden wird, ist, wie Hysterie größere Gruppen – bis hin zur Makroskala – beeinflusst. Auf jeden Fall deuten wissenschaftliche Beobachter der US Gesellschaft seit dem 11. September 2001 darauf hin, dass die Vorkommnisse jenes Tages ein klassisches Beispiel dafür sind, wie die Überlastungshemmung in Menschenmassen sie dazu konditioniert hat, die Zerstörung der demokratischen Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zu akzeptieren.

 

Referenzen

Frolov, Y.P. (1938). Pavlov and His School. Trans. by C.P. Dutt. Kegan Paul, Trench, Trubner, London.

Babkin, B.P. (1951) Pavlov. A Biography. Gollancz, London.

Asratyan, E.A. (1953) I.P. Pavlov: His Life and Work (English translation) Foreign Languages Publishing House, Moscow.

Boakes, R. A. (1984). From Darwin to behaviourism. Cambridge: Cambridge University Press.

Firkin, B. G.; & Whitworth, J. A. (1987). Dictionary of Medical Eponyms. Parthenon Publishing. ISBN 1-85070-333-7

Pavlov, I. P. (1927). Conditioned Reflexes: An Investigation of the Physiological Activity of the Cerebral Cortex (translated by G. V. Anrep). London: Oxford University Press.

Todes, D. P. (1997). “Pavlov’s Physiological Factory,” Isis. Vol. 88. The History of Science Society, p. 205-246.